DAGS-Infobrief 166 – Anlage 2
Ein neues Kapitel nach dem Brexit
Die Deutsch-Ausländische Gemeinschaft Schwalbach auf Entdeckungsreise in Südwest-England

In Bristol, beim Warten auf das Fährboot zum Museumsschiff „SS Great Britain“
Die Brexit-Entscheidung 2016, als die Briten mit knapper Mehrheit den Austritt aus der Europäischen Union wählten, hat viele auch hierzulande tief getroffen. Austauschprogramme und Städtepartnerschaften litten. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Laut Umfragen bereut eine Mehrheit der Briten die damalige Entscheidung, und auch die offizielle Politik probt die Wiederannäherung an Europa.
Ein günstiges Umfeld für eine lange geplante Reise in Englands Süden, die in diesem Juli stattfand. Dazu fanden sich die Deutsch-Ausländische Gemeinschaft (DAGS) und der Arbeitskreis Yarm zusammen. Die DAGS ist seit 1988 eine Institution in Schwalbach am Taunus und widmet sich dem „Gedanken der Völkerverständigung und Toleranz“. Sie fördert das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und wurde vielfach für ihr Engagement ausgezeichnet. So entstand zum Beispiel 2013 das preisgekrönte Buch „Zuhause in Schwalbach“, in dem Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Herkunft ihre Geschichte erzählten. Hinzu kommen regelmäßige Reisen in die Herkunftsländer. Der Arbeitskreis Yarm pflegt seit 1994 eine Städtepartnerschaft mit dem Marktflecken Yarm in Nord-Yorkshire.
Offizieller Anlass für die Reise war eine Einladung eines britischen Ehepaares, die unterstreicht, welch enge Verbindungen das breite Engagement über die Jahre geschaffen hat. Pip und Chris Higman haben
vierzig Jahre in Schwalbach gelebt, sich vielfältig engagiert, in der Politik, der Kirche, in der DAGS und der Städtepartnerschaft. 2019, auf dem Höhepunkt der Brexit-Auseinandersetzung im britischen Parlament,
entschied es sich, nach England zurückzukehren, um in der Nähe ihrer Kinder zu leben. Ausgewählt wurde Chippenham, eine kleine Stadt mit 35.000 Einwohnern, 160 Kilometer westlich von London. Für die Erkundung von Südwestengland erwies sich der Ausgangspunkt Chippenham als ideal. In eineinhalb Stunden konnte man per Bus oder Zug alle Sehenswürdigkeiten der Region erreichen. Pip und Chris hatten ein umfangreiches Programm für die achttägige Reise ausgearbeitet. Wilfried Hülsemann, der Vorsitzende der DAGS, war überwältigt: „Unsere Länder verbindet kulturell und sozial viel mehr, als man gemeinhin annimmt.“
Erster Höhepunkt war der Besuch von Stonehenge, einer Kultstätte aus der Jungsteinzeit mit mächtigen Quadern im Kreis gruppiert. Es folgte die Kathedrale von Salisbury, die unter anderem eine der wenigen erhaltenen Abschriften der Magna Carta beherbergt. Dieses Dokument von 1215 beschränkte die Macht des Königs und ist die Grundlage für die Schaffung von Menschenrechten freier Bürger. Ein weiterer Höhepunkt war die Universitätsstadt Oxford, wo sich das akademische Leben immer noch in historischen Colleges abspielt. Pip und Chris haben dort studiert und sich kennengelernt. So konnte Chris einer kleinen Gruppe auch Einblick ins Innere seines Queen College verschaffen. Stratford-upon-Avon stand natürlich ganz im Zeichen von William Shakespeare, dessen Dramen weltweit gespielt und auch gesungen
werden. Denn seine Texte wurden für viele Opern vertont. In der kleinen Stadt Wells beeindruckte die riesige Kathedrale der Frühgotik. Sehr hilfreich war der spontane Vortrag von Dieter Kunze aus Schwalbach. Der Architekt erläuterte sehr anschaulich die Unterschiede zwischen englischer
und kontinentaleuropäischer Gotik. In Bath tauchten die Besucher in die römische Zeit rund 50 Jahre nach
Christus ein. Die Bäder von damals wurden restauriert und mit einer eindrucksvollen Museumslandschaft umgeben. Bristol dann, die größte Stadt mit rund 450 000 Einwohner gab Einblick in die maritime Geschichte des britischen Königreichs. Die SS Great Britain im Trockendock vermittelte als Museumsschiff ein Gefühl für die Aufbruchstimmung aber auch Gefahren für die Auswanderer nach Amerika im 19. Jahrhundert. Zwischen all den Besichtigungen wurde auch immer wieder über die politische Entwicklung in Deutschland und Großbritannien diskutiert. Chris Higman, der in Schwalbach für die FDP im Stadtrat war, hat sich natürlich den Liberal Democrats angeschlossen, die einzige britische Partei, die sich
uneingeschränkt für Europa stark macht. So verging die Zeit wie im Flug. Bei Bernhard Jünemann, dem Vorsitzenden des AK Yarm, reifte die Erkenntnis: „Nach dem Brexit wurde ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufgeschlagen. Früher oder später sollte es das Vereinigte Königreich wieder in den Kreis der Europäischen Union zurückführen.“
Dr. Bernhard Jünemann
